Terra Serpentes
Terraristik ist mehr als nur ein Hobby

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Hier will ich euch in unregelmäßigen Abständen, kleine Minibeiträge, schreiben über alle möglichen Themen rund um unsere Tiere und die Terraristik.


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21.04.2022

Schlangen als Einzelgänger, eine überholte Position?

Es ist ein altes und leidiges Thema unter Terrarianern. Darf man Schlangen zusammen halten oder nicht? Natürlich gibt es Schlangen die selbst Schlangen fressen und bei denen Kannibalismus bekannt ist, die wollen wir hier natürlich außen vor lassen, denn klar lässt man diese Tiere einzeln. Aber in der Praxis der 1970er bis 2000er Jahre war bei den meisten Würgeschlangen die Paarhaltung durchaus üblich, allein schon deshalb, weil erfolgreiches Nachzüchten oft gar nicht anders möglich war. Das hat auch niemand groß moralisch diskutiert, denn auch damals sind die Tiere sehr alt geworden was auf gute Lebensbedingungen hinweist. Stress sieht man Tieren ja schnell an, wenn man den Blick für die Tiere entwickelt hat. Interessanter Weise war es gerade der Reptilienboom nach 2010 mit dem insbesondere die Königspythonhaltung regelrecht explodierte und heute etwa 90% aller gehaltenen Schlangen ausmacht. Der Königspython verweigert durchaus schnell mal Futter, ohne dass es auf den ersten Blick einen Anlass dafür gibt. Lange Fresspausen teils von mehreren Monaten bis zu einem Jahr sind üblich.
Manche Halter sahen im Stress durch das Zusammenhalten den Hauptgrund und es wurde aggressiv propagiert, dass Schlangen als Einzelgänger grundsätzlich einzeln gehalten werden müssen (in völliger Ignoranz zu der Tatsache, dass die 40 Jahre Terraristikgeschichte davor ziemlich erfolgreich waren und dass diese Haltungsideologie sich auch heute hauptsächlich auf die Königspythonszene beschränkt). Das Überfütterung ein Auslöser sein könnte oder unnatürliche Glaskisten ohne vernünftigen Sichtschutz (der Königspython lebt auch in der Natur äußerst versteckt, mehr als die meisten anderen Würgeschlangen), wird ebenfalls ignoriert.
Dabei zeigt die Haltungspraxis bei den meisten Würgeschlangen, dass sich eben keine negativen Effekte ergeben. Berichte über Schlangen die sich gegenseitig fressen, sind praktisch immer von fragwürdigen Quellen und nicht wenige dieser mutmaßlichen „Beweis-Fotos“ haben sich am Ende als gestellte Fakebilder erwiesen. Wie passt dass zu der Tatsache, dass man in der Natur Schlangen oft einzeln findet? Dies dürfte an den Territorien liegen, da Schlangen meist sehr standorttreu sind und deshalb in ihren Revieren bleiben, um sich gegenseitig keine Futterkonkurrenz zu machen. Das man sie einzeln findet, ist also nicht kausal zur Annahme der Einzelgänger-Theorie.
Was diese Vermutung durchaus stützt sind neuere Erkenntnisse aus der Feldforschung in den Gebieten, wo so viel Beutetiere vorhanden sind, dass die Konkurrenz eine untergeordnete Rolle spielt. Etwa bei der Kuba Schlankboa (C. Angulifer) gab es in den letzten Jahren einige bemerkenswerte Feldstudien, die feststellten, dass die Tiere in manchen Gebieten mit bis zu 30 Tieren in einer Kolonie nahe einer Fledermaushöhle leben und dort sogar gemeinsam jagen. Ähnliche Beobachtungen kommen aus dem Keoladeo National Park von Rameh 2020. Die dort lebenden hellen Tigerpythons (P. m. Molurus) leben gemeinsam in Erdhöhlen und suchen gemeinsam Sonnenplätze auf. Die Beobachtungen decken sich hier mit den Beobachtungen in der heimischen Terraristik. Sobald Futterkonkurrenz keine Rolle mehr spielt (man füttert natürlich getrennt), haben die Tiere miteinander kein großes Problem und von „Stress“ ist nicht viel zu sehen. Von manchen Nattern, wie Strumpfbandnattern ist ein zeitweiliges Zusammenleben ja schon lange bekannt. Vor diesem Hintergrund muss zumindest ernsthaft in Frage gestellt werden, ob sich die Einzelgänger-Theorie, pauschal auf alle Würgeschlangen anwenden lässt. Beobachtungen aus der Natur und der heimischen Terraristik lassen diese Pauschalisierung zumindest fragwürdig erscheinen.



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